Interview zur Frauenzählaktion

Interview mit Adi Hübel zur Frauenzählaktion der Universität Rostock, Pilotstudie, 2018 

Sichtbarkeit von Frauen in Rezensionen und Literaturkritiken

 

Das Interview führte Ann-Sophie Aigner vom Medienteam der Mörderischen Schwestern

 

Zu meiner Person: Ich lebe und arbeite in Ulm und bin seit einigen Jahren Mitglied bei den Mörderischen Schwestern. 

Ich habe zwei Kriminalromane veröffentlicht und im Herbst erscheint ein Kurzkrimi von mir in einer Anthologie. Mein Kriminalroman TOD IN ULM wurde im Regionalradio gesendet und ist 2017 als Hörbuch erschienen.

Dazu sind von mir erschienen: zwei Erzählbände, drei Lyrikbände sowie  Kurzgeschichten und Gedichte in mehreren Anthologien. 

Ich finde es wichtig, dass Frauen (50 Prozent der Bevölkerung) in unserer Gesellschaft sichtbar sind und in allen Lebensbereichen die gleichen Rechte haben wie Männer. Dafür setze ich mich ein.

 

Interview:

In dem Projekt "Frauen zählen" der AG Diversität, geht es um die Sichtbarkeit von Frauen in den Medien und dem Literaturbetrieb. Frau Hübel, gab es für Sie einen ausschlaggebenden Punkt warum Sie sich in dieser Pilotstudie engagieren?

Ich denke, ausschlaggebend war tatsächlich die MeToo-Debatte, die im Augenblick hohe Wellen schlägt: Frauen, die über ihre Situation im Kulturbetrieb berichten, das Machtgefälle, das auf vielen Ebenen in dieser Debatte zum Ausdruck kommt.

 

Die Studie läuft über insgesamt 31 Tage. Im März wurde begonnen zu zählen. Zeichnen sich bereits erste Tendenzen ab? 

Ich möchte dem Ergebnis keinesfalls vorgreifen, aber das ist tatsächlich der Fall. Natürlich kann ich hier nur über das Medium sprechen, das ich auszähle: SWR2 lesenswert.

 

Welches Ergebnis erwarten Sie?

Es lässt sich unschwer vermuten, dass das Ergebnis die Unterrepräsentanz von Frauen in der Kultur belegen wird. Es gibt ja immer wieder Aussagen über das ungleiche Verhältnis von Männern und Frauen sowohl in verschiedenen Tätigkeitsfeldern (z.B. Intendanzen, Fernsehredaktionen usw.) als auch bei der Präsentation von ‚wichtigenʻ Menschen in den Medien. 

 

Der Begriff Sichtbarkeit steht im Zentrum der Studie. Woran liegt es, Ihrer Meinung nach, dass so viele Autorinnen in den Medien und dem Literaturbetrieb unsichtbar sind?

Ich denke, dass die wichtigen Positionen von Männern besetzt sind. Hier werden Seilschaften gebildet und wird dann ein Posten frei (z.B. in einer Jury), werden die infrage kommenden Männer informiert und um Bewerbung gebeten, oder sie werden einfach in den Kreis geholt. Der männliche Blick richtet sich dann auch wieder auf die Arbeit der Geschlechtsgenossen. Überwiegend männlich besetzte Jurys wählen wieder mehr Männer (Autoren, Bildende Künstler usw.) aus, denen sie die Preise zukommen lassen.

Frauen haben es dann sehr schwer, in diese geschlossenen Runden einzudringen.   

 

Schweben Ihnen konkrete Ideen vor, wie Autorinnen sichtbarer werden könnten?

Aus dem oben Gesagten folgt zwingend, dass Gremien, die für die Vergabe von Stipendien, Auszeichnungen usw. zuständig sind, paritätisch besetzt werden müssen. Auch bei der Vergabe von Auftragsarbeiten durch und für die Medien oder bei der Besetzung von hochrangigen Stellen und der Zusammensetzung von Gremien (Rundfunkrat) müssen Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung sichtbar gemacht werden. Von mir aus auch mit Quote.

Wir bilden immerhin über 50 % der Bevölkerung. Je mehr Frauen in leitenden Positionen sind, desto mehr werden Frauen auch wahrgenommen werden. 

 

Wie sehen Sie die Entwicklung von Autorinnen aus Ihrer Lebenserfahrung? 

Das ist ein weites Feld. Grundsätzlich ist zu sagen, dass wir in unserem Land großartige Autorinnen hatten und haben, in allen Genres. Ich erinnere an frühere Zeiten, z.B. Karoline von Günderode, oder Annette von Droste-Hülshoff, in der neueren Zeit von Christa Wolff über Eveline Hasler bis zu Brigitte Reimann und Hannah Arendt, die mir ebenso in den Sinn kommen. Allerdings, wenn ich meinen Bücherschrank durchsehe, überwiegen die Autoren bei weitem. Das bedeutet, dass jahrzehnte-, nein, jahrhundertelang Autoren im Vordergrund standen, bei Nominierungen, bei Verlagen, bei Preisvergaben, bei Rezensionen und natürlich bei Buchkäufen.

Ich nehme an, dass viel mehr männliche Schreibende davon leben können als Frauen. 

Allerdings wird in neuerer Zeit zur Kenntnis genommen, dass wir Frauen nicht nur Kochbücher, Gartenratgeber und Bastelanleitungen schreiben können, sondern auf allen Gebieten präsent sind. Seit einigen Jahren erobern wir auch vermehrt den Markt mit Kriminalromanen. Hier liegen wir, soviel ich weiß, bei etwa 50 Prozent. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der größte Teil der Lesenden Frauen sind und sie erwarten auch Bücher, die mit ihrer Lebenswelt in irgendeiner Weise zu tun haben.

 

Autorinnen werden oft in Klischees gesteckt. Ich denke hier an den Begriff Cosy Crime. Ich habe den Eindruck, es wird ihnen nicht zugetraut, Literatur für Männer zu schreiben. Woran kann das liegen?

Tatsächlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass Männer von Autorinnen geschriebene Bücher oft als nicht relevant für sich abtun. Viele wollen keine ‚Frauenliteraturʻ lesen. Leider bringen sie sich damit um einen Gewinn, sowohl für ein besonderes Lesevergnügen als auch für ihr Verständnis von Frauen. Und nicht nur das, sie nehmen auch nicht wahr, wie großartig Autorinnen schreiben.

 

Als Ivanka Trump am G20 Gipfel in einem geblümten Kleid auftrat, wurde in der Presse überwiegend über ihr Styling berichtet. Verniedlichen sich Frauen bzw. Autorinnen durch eine zu weibliche Erscheinung? 

Nein, überhaupt nicht. Sehen Sie, das ist wie mit dem schrecklichen Thema Vergewaltigung. Noch vor nicht langer Zeit hat man diese Art der sexuellen Gewalt dem „kurzen Rock“ oder der „aufreizenden Erscheinung“ der Frauen zugeschrieben. Inzwischen hat sich die Ansicht etabliert, dass es bei sexuellen Übergriffen nicht um Sexualität sondern um die Ausübung von Macht geht. 

Der Zusammenhang zwischen weiblicher bzw. schicker oder eleganter oder sogenannter „aufreizender“ Kleidung und einer damit einhergehenden „Verniedlichung“ oder Unsichtbarkeit in den Medien, ist zu weit hergeholt.

 

Würde eine maskulinere Selbstdarstellung von Autorinnen dabei helfen im Literaturbetrieb sichtbarer zu werden? 

Natürlich nicht. Mir ist kein Fall bekannt, wo dies eine Rolle gespielt hätte. Es gibt allerdings immer wieder Frauen, die die weibliche Form, also den für sie zutreffenden Begriff, nicht benutzen wollen. Sie sagen: ich bin Schriftsteller, ich bin Autor und erhoffen sich damit mehr Präsenz. Abgesehen davon, dass sie hier als weibliche Autoren sprachlich falsch liegen, hatte ich bis heute nicht den Eindruck, dass sie häufiger gedruckt, gelesen oder für Lesungen angefragt worden wären. Darüber hinaus halte ich es fast für einen Betrug an den Interessierten. Wenn ich Autor lese, denke ich an einen Mann, lese ich Autorin weiß ich, dass es eine Frau ist. Das sagt mir doch etwas über den oder die Verfasser/in eines Textes.

 

Ist die Unsichtbarkeit von Autorinnen in den Medien und im Literaturbetrieb Ausdruck einer noch immer bestehenden Ungleichheit von Männern und Frauen in der Gesellschaft oder hat der Literaturbetrieb eine besondere Stellung?

Eigentlich wollte ich Ihre Behauptung bestätigen. Zum einen ist das so. Zum anderen habe ich den Eindruck, dass im Kulturbetrieb bis vor kurzem die Frage nach Geschlechterzuordnung nicht gestellt wurde, anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Nur ganz wenige haben sich getraut, die Frage nach der Männerdominanz in diesen Bereichen zu hinterfragen und die wenigen wurden ausgelacht bzw. nicht zur Kenntnis genommen. Dass Männer in Medien und im Literaturbetrieb die Nase vorn hatten wurde kaum thematisiert. Im Moment scheint hier, so hoffe ich, ein Umdenken stattzufinden. 

 

Wünschen Sie sich für die Behebung der Problematik der sichtbareren Wahrnehmung von Autorinnen mehr Aufmerksamkeit auf der politischen Ebene?

Natürlich wünsche ich mir das, wie viele kulturschaffende bzw. schreibende Frauen auch. 

In der Stadt Ulm, in der ich lebe, gibt es z.B. alle zwei Jahre einen Preis für Junge Kunst. Der Preis für Literatur wurde letztes Jahr nicht vergeben. Natürlich kenne ich die eingereichten Texte nicht, aber das Ergebnis in den anderen Sparten sah so aus: von den PreisträgerInnen waren 4 männlich und 2 weiblich. Da hat mich natürlich die Zusammensetzung der Jury interessiert. Das Ergebnis war wie ich vermutet hatte: 24 JurorInnen insgesamt, davon 17 männlich und 7 weiblich. Das passt doch wieder! Hier hat die Politik auf allen Ebenen, auch in den Kommunen, noch viel zu tun.

Erfreulich ist, dass die Staatsministerin Frau Grütters sich mit dem Thema ‚Frauen in Kultur und Medien‘ befasst hat. Unsere Zählaktion, an der sich mehrere Literaturorganisationen beteiligen, wird, so hoffe ich, mit ihrem Ergebnis dann auch positive Änderungen in der Präsenz literarischer Werke und an der Sichtbarkeit von Autorinnen bewirken.